"Thanatos - Gevatter" - Vier künstlerische Positionen aus Berlin zum Thema Tod.

Ausstellung von Samstag, 5. November bis Sonntag, 27. November 2022
im ARTraumBERLIN, Wisbyerstraße 11, 10439 Berlin-Prenzlauer Berg 

Public Viewing:

Vernissage, Samstag, 5. November 2022, 18 – 22 Uhr 
Nachklang: Sonntag, 6. November 2022, 14 – 18 Uhr
Finissage, Samstag, 26. November 2022, 18 – 22 Uhr 
Ausklang, Sonntag, 27. November 2022, 14 – 18 Uhr

Private Viewing:

Während der Laufzeit der Ausstellung nach telefonischer Vereinbarung.
Christoph R. Giselher Poche (Gast-Kurator): 0151 – 501 58 414 
 
 
Text von Christoph R. Giselher Poche © 2022 

Thanatos nennen die Griechen den Gott des Todes, und als Gevatter Tod wurde er im deutschen Volksbrauch benannt. In Malerei und Zeichnung widmen sich die vier Berliner KünstlerInnen JoDD von Schaffstein, Ewa Finn, Maryna Baranovska und Christoph Beer einem gemeinsamen "memento mori" und stellen sich damit in eine alte, europäische Tradition. 

Der Tod ist das unabdingbare Ende eines jeden Lebens und erscheint doch gesellschaftlich und individuell nach wie vor verdrängt und mit Tabu belegt. Die an der Ausstellung “Thanatos – Gevatter” beteiligten KünstlerInnen konfrontieren das Tabu auf unterschiedliche Weise: JoDD von Schaffstein greift für seine grundsätzliche Reflexion des Thanatos-Prinzips ein Gedicht von Rainer Maria Rilke auf, Ewa Finn thematisiert den gewaltsamen, durch Menschen an Menschen verursachten Tod, Maryna Baranovska bearbeitet die individuelle Begegnung mit dem Sterben und Christoph Beer deutet eine mögliche, spirituelle Seite des Todes an.  

 

 

JoDD von Schaffstein 2018 "Der Tod ist groß" (nach Rilke), 200 x 150 cm,  Acryl und Schellack, Mischtechnik auf Leinwand

 

Das Thanatos-Prinzip gilt spätestens seit Sigmund Freud als Antagonist des Lust- und Eros-Prinzips und damit sind beide gleichermaßen Grundprinzipien des Schöpferischen, dem JoDD von Schaffstein sich in seinem künstlerischen Lebenswerk verschrieben hat: dem unmittelbaren Schöpfen aus dem Nichts. 

Hier greift JoDD von Schaffstein motivisch dezidiert das Gegen-Prinzip, das Widersacher-Prinzip, den Todestrieb auf, und zwar in einer abstrakten und doch beinahe personalisierten Form als ein bedrohliches, Spinnen-artiges Gegenüber, mit dem es stets zu rechnen gilt, im Außen und im eigenen Inneren, und durch das unser eigenes, schöpferisches Tun erst kostbar und eigentlich auch dringlich wird. 

Die Arbeit entstand im Kontext einer Serie, in der der Künstler sich auf nachempfindende, die Ratio umgehende und nach Möglichkeit sogar ausschaltende Weise mit der Lyrik des deutsch- und französisch-sprachigen, österreichischen Dichters Rainer Maria Rilke (1875 - 1926) befasste. Hier das entsprechende Gedicht "Schlussstück" aus der Gedichtsammlung "Das Buch der Bilder": 

 

Schlußstück

Der Tod ist groß.

Wir sind die Seinen
lachenden Munds.

Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.


Aus der Gedichtsammlung "Das Buch der Bilder", Erstveröffentlichung 1902, Zweitfassung 1906.

Quelle

Rilke, Die Gedichte. Nach der von Ernst Zinn besorgten Edition der sämtlichen Werke. Frankfurt am Main 1957. (Insel Verlag) 



Ewa Finn 2013 "Alter Hund", 67 x 52 cm, Pinselzeichnung, Tusche auf Papier

 

Ewa Finn nimmt von den vier KünstlerInnen die agnostischste und Diesseits-bezogenste Position ein. Von ihr werden sechs Arbeiten auf Papier in der Ausstellung gezeigt:

Vier Darstellungen von vollzogenen, gewaltsamen Toden, drei durch Fremdeinwirkung, einer durch Selbsttötung, sowie zwei weitere Schilderungen von Menschen auf dem Weg zum Tod, auch hier wieder der eine, unter Zwang dem Tod durch fremdes, verbrecherisches Handeln entgegen gehend, der andere sich freiwillig dem Tod durch das eigene Verhalten permanenter Selbstbeschädigung ausliefernd.

Ewa Finn's Pinselzeichnungen führen vor, was schon der römische Komödiendichter Plautus sagte und was Berthold Brecht wiederholte: "Homo homini lupus - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.



Maryna Baranovska 2009 "Tod meines Vaters", 300 x 200 cm, Öl auf Leinwand


Die oben abgebildete Arbeit "Tod meines Vaters" von Maryna Baranovska befindet sich in verändertem Zustand zur Zeit in Kiew/Ukraine im Depot einer dortigen Galerie und kann für diese Ausstellung nicht nach Berlin transportiert werden. Maryna Baranovska hat jedoch speziell für diese Ausstellung eine Zeichnung auf Papier mit einer Variante des gleichen sehr persönlichen Themas angefertigt, dem Tod ihres eigenen Vaters nämlich. Die Zeichnung zeigt dreizehn Jahre nach dem Ereignis und dem darauf bezogenen Gemälde eine veränderte Emotionalität und macht damit die durch Trauer und Zeit bewirkte Verarbeitung des damals hoch aktuellen Verlustes sichtbar und spürbar.

Marina Baranovska's Arbeit vertritt in dieser Themen-Ausstellung die unvermeidliche, persönliche Dimension des Todes, der schicksalhaft kein einziges, individuelles Leben unbeeinflusst und unbeeinträchtigt lässt, der auf unkalkulierbare Weise niemanden verschont, und der uns so vor die Herausforderung stellt, uns mit der Tatsache der Vergänglichkeit auch unseres eigenen Lebens und aller unserer Lebensumstände auseinander zu setzten und uns letztendlich damit abzufinden.

 

Christoph Beer 2011 – 2018, "Shiva", 38 x 30,5 cm, Mischtechnik auf geleimtem Papier

 
 

Die figürlichen Arbeiten von Christoph Beer sind von hoher, formal-abstrakter Qualität. Inhaltlich sind sie komplex und vertreten in dieser Ausstellung die spirituelle Dimension. 

Darin verweist "Shiva" auf den Tod als Sensenmann, als Shiva, den Zerstörer aus der hinduistischen Götter-Welt, dem zwei Assistenzfiguren beigegeben und vorgesetzt sind, die als seine Götter-Kollegen Brahma, den Schöpfer, und Vishnu, den Erhalter, gedeutet werden können.


Christoph Beer 2010 – 2018, "Rear-View", 30 x 37,5 cm, Mischtechnik auf geleimtem Papier

 

In "Rear-View" / Rückblick schaut ein weißes, numinoses Spiegelbild wie aus einem Auto-Rückspiegel zurück auf den dunklen Todes-Kandidaten, der vor dem Spiegel wie kurz vorm Übertritt in eine andere Dimension zu stehen scheint - Sinnbild für die Lebensrückschau des Menschen im Moment des Todes, von der viele spirituelle Traditionen der Menschheit sprechen. 

 

Christoph Beer 2011 – 2017 "Knight", 42 x 34,5 cm, Mischtechnik auf Leinwand


In "Knight" schließlich könnte uns das feinstoffliche Ebenbild des Menschen entgegen blicken, das uns nach unserem Tode als Träger des Seelen-Bewusstseins dienen wird - so meine persönliche Lesart der drei Arbeiten von Christoph Beer. 

Für die Richtigkeit dieser Komplexität reduzierenden Kurz-Interpretationen besteht keinerlei Gewähr - für mich persönlich jedoch sprechen diese drei Arbeiten in ihrer Bildsprache genau davon - vom Tod als Durchgang und als Übergang und vom Leben als einem temporären, fluiden Zwischenzustand zwischen vergangenem Nicht-Mehr und zukünftigem Bald-Wieder.  


Kurz-CVs der beteiligten KünstlerInnen: 

JoDD von Schaffstein 

https://joddvonschaffstein.art/ - https://www.jodd.de/

1944 in Saterland / Deutschland geboren als Heinz Jürgen Jankowsky 

1959 bis 1963 Ausbildung zum Filmplakat- und Reklame-Maler

1964 bis 1966 Studium der Malerei und Bildenden Kunst an der Werkkunstschule in Dortmund

lebte bis 1987 in Dortmund, Düsseldorf, Aurich, 1987 - 1997 in Hamburg 

ab 1994 JoDD

1997 Umzug nach Berlin 

ab 2009 JoDD von Schaffstein

lebt und arbeitet in Berlin


JoDD von Schaffstein wird zur Zeit von folgenden Galerien vertreten: 

Klasan Gallery / Galerie Christian Klasan in Wien und London
https://klasan.gallery/

Galeria HMH S.L., Mallorca
https://www.art-gallery-mallorca.com/en/artworks/jodd-von-schaffstein-en/


Ewa Finn 

http://www.ewa-finn.de/de - http://www.ewa-finn.de/pl - http://www.ewa-finn.de/en

1979 in Warschau / Polen geboren

1999 Umzug nach Berlin 

2001 - 2006 Studium der freien Kunst an der Berliner Universität der Künste bei Prof. Dieter Hacker

2007 Meisterschüler-Abschluss bei Prof. Dieter Hacker

lebt und arbeitet in Berlin


Maryna Baranovska 

http://www.marynabaranovska.de/ 

1983 in Kiew / Ukraine geboren 

2001 Umzug nach Berlin

2002 - 2009 Studium der freien Kunst an der Berliner Universität der Künste bei Prof. Dieter Hacker und Prof. Valérie Favre 

2009 Meisterschüler-Abschluss bei Prof. Valérie Favre 

lebt und arbeitet in Berlin 


Maryna Baranovska wird zur Zeit von folgender Galerie vertreten:  

Dora Ostrovsky Arthub Gallery in Kiew / Ukraine
https://www.doraostrovsky.com/artists/maryna-baranovska/


Christoph Beer

https://www.christoph-beer.net/

1972 in Wien / Österreich geboren 

1997 - 2004 Studium der freien Kunst an der Berliner Universität der Künste, zuletzt bei Prof. Klaus Fußmann 

2005 Meisterschüler-Abschluss bei Prof. Dieter Hacker 

lebt und arbeitet in Berlin 



Weitere Links im Zusammenhang mit dieser Ausstellung:  

Porträt von ARTraumBERLIN auf www.kunstleben-berlin.de:
https://www.kunstleben-berlin.de/veranstaltungsort/kunstraum-f-200/
 
 
Porträt von ARTraumBERLIN auf den Webseiten JoDD von Schaffsteins:
https://joddvonschaffstein.art/artraum 
https://www.jodd.de/page.php?gal_id=33&id=1&usrid=1


Autor und Gast-Kurator am ARTraumBERLIN für diese Ausstellung:

Christoph R. Giselher Poche, M.A.

Bergmannstr. 58, 10961 Berlin-Kreuzberg
tel.: +49 (0) 151 501 58 414
email: chrispoche(at)yahoo.com  


Das Copyright der verwendeten Fotos liegt bei den Künstlerinnen und Künstlern. 


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